Ist-Versteuerer als Leistungserbringer
EuGH äußert sich zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs
Im Bereich der Umsatzsteuer ist die sogenannte Soll-Versteuerung der Regelfall. Bezogen auf den Vorsteuerabzug bedeutet das bislang: Sobald die Leistung oder Lieferung ausgeführt wurde und dem Leistungsempfänger eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt, darf dieser die ihm in Rechnung gestellte Vorsteuer „ziehen“. Das gilt auch für den Fall, dass der die Lieferung oder Leistung ausführende Unternehmer von der Ist-Versteuerung Gebrauch macht.
Wie der Leistungsausführende seine Ausgangsumsätze versteuert, ob er also seinerseits von der Soll- oder Ist-Versteuerung Gebrauch macht, wirkt sich demnach zurzeit nicht auf den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers aus.
Das derzeitige, doch recht unkomplizierte Vorgehen beim Vorsteuerabzug könnte aber bald der Vergangenheit angehören. Denn ein weiteres Mal hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil gefällt, das sich wahrscheinlich demnächst auch auf den Vorsteuerabzug von Unternehmern in Deutschland auswirken wird, wenn von einem Unternehmer, der die Ist-Versteuerung anwendet, umsatzsteuerpflichtige Leistungen bezogen werden (Urteil vom 10.2.2022, C-9/20).
Die zentrale Feststellung des EuGH ist in einem Satz wiedergegeben: Wendet der leistende Unternehmer die Ist-Versteuerung an, darf der Leistungsempfänger die ihm in Rechnung gestellte Vorsteuer erst geltend machen, wenn die Leistung bezahlt ist. Hinter der Entscheidung des EuGH steckt folgende Logik: Da der Zahlungsempfänger dem Finanzamt bei Anwendung der Ist-Versteuerung erst nach Empfang des jeweiligen Geldbetrags Umsatzsteuer schuldet, soll auch der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nicht schon vorher möglich sein, zumal sich dadurch ein wirtschaftlicher Nachteil für die Finanzverwaltung ergeben kann.
Das EuGH-Urteil hat für viel Aufsehen gesorgt – auch weil es die Unternehmen vor eine große Herausforderung stellt. Denn aufgrund der momentanen Gesetzeslage ist der Leistungsausführende nicht dazu verpflichtet, dem Leistungsempfänger mitzuteilen, dass von der Ist-Versteuerung Gebrauch gemacht wird. Aus diesem Grund kann der Leistungsempfänger nicht wissen, ab welchem Zeitpunkt der Vorsteuerabzug nach Rechtsauffassung des EuGH zulässig ist.
Naheliegend ist nun ein Eingreifen des Gesetzgebers in der Form, dass in das Umsatzsteuergesetz eine Hinweispflicht auf die Anwendung der Ist-Versteuerung des Leistenden bei der Rechnungstellung aufgenommen wird (§ 14 Abs. 4 UStG). Nur so lässt sich nämlich sicherstellen, dass der Leistungsempfänger die notwendigen Informationen für die korrekte zeitliche Einordnung seines Rechts auf den Vorsteuerabzug erhält.